Erinnerungen an Henri Matisse von Marg Moll
Unter den Künstlerinnen der Gegenwart nimmt die Bildhauerin und Malerin Marg Moll eine besondere Stellung ein. Ihr Werk und Wirken wurzeln in ihrer persönlichen, eigenwilligen Anschauungsweise und in ihren Bemühungen um allgemeine Begriffe. Daraus resultiert das Prinzip ihres differenzierten Gestaltens. Sie sucht jeweils das individuelle Merkmal des Gegenstandes und macht es in der Gestalt sichtbar. Auch wenn sie sich im Laufe ihrer Entwicklung von anderen Tendenzen inspirieren ließ, so geschah es, um das eigene Kunstvermögen dadurch substantieller herauszubilden. Immer wieder gelangen ihr eindeutige Beweise eigenschöpferischer Kraft.
Da ihr Wesen und ihre geistige Existenz sowohl auf mütterlicher Güte als auch auf unablässiger Wahrheitssuche beruhen, war für sie die Harmonie zwischen Natur und Geist der Kunst - im Gegensatz zu Oskar Moll - nicht immer leicht zu finden. Bei Oskar Moll war Kunst gleichsam sich selbst nachahmende, sich selbst bildende Natur. Durfte man Jahrzehnte hindurch - mit beiden gleich eng verbunden - ihr Wirken in Breslau und später in ihrem Berliner Haus am Halensee miterleben, wurden Spannung und Verspanntsein der beiden Künstler und ihrer Absichten zum rechten Quell der Erfahrung und der Erkenntnis. Das Wesen der Phantasie entschlüsselte sich auf dem Aspekt des Zeitlos-Schöpferischen oder des zielgerichteten Bildens.
Marg Moll ist auch heute unermüdlich in ihrer Arbeit und in ihrem Bestreben, eine jeweils besondere Meinung als Kunstwerk herauszubilden. Es beglückt, wenn eine wesentliche Lösung, das reine Empfinden eines objektiven Ganzen, zu einer Serie führt - wie dies in ihrem plastischen Werk viele Tierdarstellungen bezeugen. Materie und Geist korrespondieren dann aufs genaueste.
In ihren Bildern geht es Marg Moll immer wieder um das Prinzip des Strukturierens. Flächen, Linien, Farben und Strukturen werden so angewandt, daß ihre Bilder - wie ihre Plastiken - unmittelbar zu den Sinnen und durch die Sinne zum Geist sprechen. So zeigt sich auch beim Bild jenes für Marg Moll ganz Charakteristische - die Idee wird von Anschauung und Begriff getragen.
Marg Moll hat sich nie auf eine Manier festgelegt, am allerwenigsten auf die von Matisse angeregte. Als Menschenbildnerin des nackten Körpers bleibt sie Humanistin. Sie liebt die Tiere. Vorzügliche wetterfeste Gartenskulpturen hat sie geschaffen. Das völlig abstrakte, geometrisierende Werk ist selten in ihrem Oeuvre. Doch weiß sie zu abstrahieren, das heißt zur Essenz eines Gegenstandes vorzudringen. Form steht bei ihr immer in engster Beziehung zur Technik und zum Material. So gibt es neben Stein und Ton Metall. Skulpturen wie ihre äußerst interessanten Metall-Umriß-Gebilde zeigen, mit welcher Einfachheit sie den Außen- wie Innenraum zu definieren weiß. Die in der ,Moderne' nicht allzu populäre Holzskulptur, Höhepunkt der deutschen .Bildschnitzerei' in Gotik und Barock, hat sie erfolgreich der heutigen Formensprache angeglichen.
Hellsichtigkeit für das, was in ihrer Zeit in der Kunst vorging, hat diese unermüdliche Künstlerin von je ausgezeichnet. Außerdem schöpferische Neugier, die sie später zur Malerei und zum Mosaik geführt hat. Eine vorzügliche Zeichnerin und Graphikerin ist sie seit je gewesen.
Damals wie heute besaß sie etwas lebhaft Bestimmtes in ihrem Wesen, das dem Entdeckergeist in der Kunst entsprach.